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Es lebe der Generalist! Warum gerade sie in einer spezialisierten Welt erfolgreicher sind (Epstein, 2020)

Darum geht es in diesem Buch

Carl Naughton (2018): Neugier – So schaffen Sie Lust auf Neues und Veränderung.

Spezialist*innen beginnen früh und üben lange, um ihr Ziel zu erreichen. Das ist DER Schlüssel zum Erfolg. So die weitverbreitete Meinung. David J. Epstein analysiert Top-Performer in den unterschiedlichsten Bereichen. Und kommt zum Schluss: Auch Generalist*innen können erfolgreich sein! Sie legen vielleicht später los. Dafür sind sie meist kreativer, agiler, neugieriger und sammeln dadurch ein breites Wissen.

 

Epstein schreibt über Wunderkinder, Sportasse, Ausnahmekünstler und erfolgreiche Unternehmer. Seine Ausführungen untermauert er mit Theorien und Studien. Viele Expert*innen – Spezialist*innen und Generalist*innen – kommen zu Wort.

 

Es zeigt sich: Während Hyperspezialist*innen Gefahr laufen, sich auf ihrer Wissensinsel einzuigeln, können lateral denkende Generalist*innen mit ihrem Weitblick diese Inseln vernetzen. Mit ihrer Hilfe können verborgene interdisziplinäre Schätze gehoben werden, die wir dringend brauchen, um die grossen Probleme der Menschheit zu lösen.

 

Epsteins Buch ist ein Plädoyer dafür, immer wieder über den Tellerrand zu schauen und Generalismus nicht nur zuzulassen, sondern ihn auch zu fördern.

Deshalb habe ich dieses Buch gelesen

Zu Beginn meiner Selbständigkeit wurde mir regelmässig – sagen wir mal – nahegelegt, ich müsse mich auf eine Nische festlegen. «Spezialisier dich!», hiess es. «Ansonsten wird das nichts mit deinem Business.» Schon allein der Gedanke, für nur eine Branche Texte zu schreiben, führte bei mir zu Stirnrunzeln und Nasenrümpfen. 

Ich bin neugierig und interessiere mich für ganz viele Themen. Manche hängen nicht einmal entfernt zusammen. Eine Nische besetzen? Passt nicht zu mir! Ich bin froh, habe ich mich nicht beirren lasen und bin weiter meinen Weg gegangen. Ich habe mir ein breites Wissen erarbeitet. Was ich nicht weiss, lerne ich. Oder ich weiss, wer aus meinem Netzwerk mir weiterhelfen könnte. Ich bin eine Generalistin! Kein Wunder hat mich der Titel dieses Buches angesprochen.

Was ich aus diesem Buch mitnehme

  • Ich liebe und lebe meine Vielfalt. Und dieses Buch ist eine weitere Bestätigung dafür, dass mein Weg für mich der richtige ist. Es ist nicht nötig, sich auf ein Ziel einzuschiessen, sich auf eine Nische zu spezialisieren. Diesen schönen Satz aus dem Buch habe ich längst verinnerlicht: «Ich weiss, wer ich bin, wenn ich sehe, was ich mache.» (S.201)
  • Wir brauchen beides: Spezialist*innen UND Generalist*innen! Dass durch unser Bildungssystem aktuell vor allem Spezialist*innen «gezüchtet» werden, ist meiner Meinung nach, ein Fehler im System. So entstehen Wissensinseln, zwischen denen Erkenntnisse nicht geteilt werden. Der Wissenstransfer fehlt. Die Innovation wird gebremst. Und dabei brauchen wir genau diese, um die wirklich grossen Probleme der Menschheit zu lösen. Wir brauchen Generalistinnen und Generalisten, die zwischen den Inseln denken und das Wissen der Spezialisten kreativ verknüpfen.
  • Der alleinige Erfolg durch möglichst frühe Spezialisierung ist ein Mythos. Kreativität macht menschliche Spitzenleistungen genauso möglich. 
  • Aus Fehlern lernt man. Mehr als man denkt. Wir sollten sie feiern. Denn sie sind es, die uns einen nachhaltigen Lernerfolg garantieren.
  • Warum verharren Menschen oft lange in einer Situation (besonders, wenn es ihre Arbeit betrifft), in der sie nicht glücklich sind? Sie unterliegen dem «Trugschluss der versunkenen Kosten» (Seth Godin). Nach dem sie viel Zeit und Geld in eine Sache investiert haben, glauben sie, es sich nicht leisten zu können, aufzugeben. Sie glauben, sie würden ihre Investitionen verschwenden, auch wenn diese bereits Vergangenheit sind. Was man in der Vergangenheit investiert hat, kann man in der Gegenwart nicht verschwenden.
  • Mythos «gerader Lebenslauf»: Die Idee, dass die meisten Menschen einen geraden Lebenslauf haben, ist ein Trugschluss. Fast jede*r verfolgt im Leben einen eher ungewöhnlichen Pfad.
  • Jede*r sollte lernen, interdisziplinär zu denken, denn die intelligentesten, kosteneffizientesten und profitabelsten Lösungen basieren auf zufälligem Denken über völlig sachfremde Dinge.
  • Manchmal muss man, um zu Lernen, seine Erfahrung zur Seite schieben.

Meine Lieblingspassagen

«Menschen und Maschinen haben oft gegenläufige Stärken und Schwächen. […] Je komplexer das Gesamtbild, desto wertvoller der potenzielle menschliche Beitrag. Unsere grösste Stärke ist die Fähigkeit zur breiten Integration, also genau das Gegenteil einer engen Spezialisierung.» (S.36ff)

«Erst müssen [Studierende] lernen, wie sie denken müssen, bevor sie lernen [können], worüber sie nachdenken sollen.» (S.68)

«Die Probierphase [z.B. das unentschiedene Austesten verschiedener Instrumente im Kindesalter] ist für die Entwicklung herausragender Talente keine Nebensächlichkeit [...], sondern ein integraler Bestandteil dieser Entwicklung.» (S.85)

«Die Breite der Wissensaneignung ist ein Prädikator für die Breite des Wissenstransfers. […] Je reicher und vielfältiger der Kontext, in dem etwas gelernt wird, desto öfter erzeugt der Lernende abstrakte Modelle und desto weniger verlässt er sich auf ein bestimmtes Beispiel. Lernende können ihr Wissen somit besser auf unbekannte Situationen anwenden, und das ist die Quintessenz von Kreativität.» (S.98)

«Sich anzustrengen, eine eigene Antwort zu finden, auch wenn sie womöglich falsch ist, verbessert den […| Lernprozess. […] Je überzeugter ein Lernender von seiner falschen Antwort ist, desto stärker prägt er sich die nachfolgend genannte richtige Antwort ein. Grosse Irrtümer zu tolerieren, kann die besten Lernchancen erzeugen.» (S.107f)

«[…] jemand, der offen für Neues ist, [nimmt] aus jeder Erfahrung etwas [mit].» (S.188)

«[Erfolgreiche Aussenseiter] konzentrieren sich auf folgende Sichtweise: "Das bin ich hier und jetzt, das ist meine Motivation, und das ist, was ich gerne machen möchte; das ist was ich gerne lernen möchte, und hier sind die Chancen. Was davon passt hier und jetzt am besten? In einem Jahr verändere ich mich vielleicht erneut, wenn ich etwas finde, das noch besser zu mir passt."» (Ogi Ogas, S.189f)

«Niemand weiss, was er kann, bis er es ausprobiert. Dinge auszuprobieren, ist der Schlüssel zur Entdeckung der eigenen Talente.» (S.207)

«Die isolierte Betrachtung winziger Ausschnitte eines Gesamtbildes reicht nicht aus, um die grössten Herausforderungen der Menschheit zu bewältigen, egal wie hochauflösend das Bild dieses Ausschnitts ist. […] Der scheuklappenartige Blick auf einzelne Teile ist nicht genug. Ein gesundes Ökosystem braucht Biodiversität.» (S.321)

«Die Zukunft bahnbrechender Entdeckungen [hängt] von der Öffnung des Horizonts ab.» (S.329)

«Die menschliche Kreativität […] ist im Wesentlichen ein Import-Export-Geschäft von Ideen.» (Brian Uzzi, S.336)

«Vergleichen Sie sich mit der Person, die Sie gestern waren, nicht mit […] Menschen, die Sie nicht sind. Jeder macht in seinem eigenen Tempo Fortschritte; lassen Sie sich also von niemandem das Gefühl geben, Sie würden hinterherhinken.» (S.347)

An diese Menschen habe ich beim Lesen öfter gedacht

An meine Mastermind-Frauen Womenempowerin Dorothe Brumann, Blogcoach Claudia Hamer und Geburtskartenfee Aline Ledergerber, weil wir uns immer wieder interdisziplinär austauschen und jede einzelne von uns in der Gruppe wächst. Ihr seid gleichzeitig meine Inseln und meine Anker.

An meinen Vater Hans Imboden, weil er als Professor der Neurobiologie immer wieder sein Fachwissen und seine Forschungsergebnisse mit anderen – auch ausserhalb seines Fachgebiets – geteilt hat.

An Friederike Kunath, weil Epstein einfach wunderbare Dinge über Jazz-Musiker*innen schreibt.

An Pascal Ott, weil ich mit dir auf LinkedIn auch schon über das Thema «Spezialisten – Generalisten» diskutiert habe.

An Rahel Tschopp, weil dich vor allem das Kapitel über kurzfristiges versus nachhaltiges Lernen interessieren könnte.

Das würde ich dem Autor dieses Buches gerne sagen

Lieber David J. Epstein, als ich Ihr Buch zum ersten Mal in den Händen hielt, war ich erschlagen (Das Buch ist 400 Seiten dick!). Doch bereits im ersten Kapitel habe ich mich in die vielfältige, vernetzte Welt der Generalist*innen fallen lassen. Ihr Sachbuch liest sich tatsächlich phasenweise wie ein Roman. Mit grossem Interesse habe ich mehr über Van Gogh, die Anfänge von Nintendo und andere wichtige «Nebensächlichkeiten» erfahren. Ich habe einiges in mein Generalistinnen-Rucksäckchen gepackt und mitgenommen. Danke!

Hier kannst du dieses Buch kaufen

Zum Beispiel bei Orell Füssli oder Amazon. Ich empfehle dir die wunderschön illustrierte gebundene Ausgabe.

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Kommentare: 1
  • #1

    Friederike Kunath (Dienstag, 04 Mai 2021 01:27)

    Liebe Barbara

    Jetzt weiss ich noch genauer, warum ich viel glücklicher bin, seitdem ich die Suche nach meiner "Nische" in den Wind geschossen habe. Klingt sowieso ziemlich miefig, so eine Nische, wer will da schon hocken? Eigentlich war es auch in der Schule schon toll für mich, diese Vielfalt, all diese unterschiedlichen Fächer - ich hab eigentlich (fast) alle gemocht. Besonders hängengeblieben ist mir aus deiner Rezension der "Trugschluss der versunkenen Kosten", der hat mich natürlich auch lange festgehalten. Und dann noch die Jazzmusik, ich muss es wohl lesen! Danke dir!