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«Vor Pest, Hunger und Krieg bewahre uns, o Herr»: Die Geschichte der Seuchen in der Schweiz (Daniel Furrer, 2022)

Darum geht es in diesem Buch

Danke für das Rezensionsexemplar NZZ LIBRO.
Danke für das Rezensionsexemplar NZZ LIBRO.

«Wir befinden uns in der schlimmsten Pandemie aller Zeiten...» So hat man in den vergangenen zwei Jahren hin und wieder gelesen. Aber ist das tatsächlich so?

 

Nein. Infektionskrankheiten begleiten die Menschen seit jeher. «Vor Pest, Hunger und Krieg bewahre uns, o Herr» – so flehten die Schweizer*innen in der Frühen Neuzeit (ca. 1500 - ca. 1800) um göttlichen Beistand. Die Reihenfolge «Pest, Hunger und Krieg» ist kein Zufall. Infektionskrankheiten waren tatsächlich die grösste Geissel dieser Zeit.

 

In dieser ersten Gesamtdarstellung der Seuchengeschichte der Schweiz erfährt man, wie die Menschen in der Schweiz mit den vielen (!) zum Teil verheerenden Pandemien der Neuzeit umgegangen sind und was wir aus der Geschichte lernen können bzw. könnten.

 

Inhaltlich sicher keine schöne, aber eine sehr eindrückliche, augenöffnende Lektüre.

Deshalb habe ich dieses Buch gelesen

Ohne Vergangenheit gäbe es keine Gegenwart und keine Zukunft. Vor uns haben viele andere ihr Leben gelebt und gelernt. Einiges davon ist übermittelt. Dieser Wissensschatz besteht aus Fehlern und Lösungen, die vor unserer Zeit gemacht und gefunden wurden. Wir sollten daraus lernen!

Was ich aus diesem Buch mitnehme

  • Schwein gehabt! Es grenzt an ein Wunder, dass ich das heute schreiben und du das lesen kannst. Dass unsere Ahnen Pest, Cholera und andere «Geisseln der Menschheit» überlebt haben, war reine Glückssache. Zu leben, ist keine Selbstverständlichkeit! Wir sollten es feiern. Jeden Tag!
  • Die Geschichte der «nie zuvor da gewesenen Pandemie» ist ein Mythos. Seuchen begleiten den Menschen seit jeher und werden sie immer begleiten – zum Teil über Jahrhunderte hinweg.
  • Kriege lassen sich heroisieren, Seuchen nicht. Während Konflikte in Geschichtsbüchern viel Raum bekommen haben, werden Seuchen oft nur am Rande oder gar nicht erwähnt. Dabei kosteten sie zum Teil viel mehr Menschenleben. Ein Beispiel: An Napoleons Russlandfeldzug (1812) beteiligten sich rund 7‘000 Schweizer Soldaten. Es war der grösste Feldzug der bisherigen Geschichte. Die Grösse der Armee lag zwischen einem Millionenheer und 600 000 Soldaten. Heimgekehrt sind weniger als 100 000 Mann, davon gerade mal 1‘000 Schweizer. Die meisten Soldaten fielen nicht im Krieg sondern erlagen Durchfallerkrankungen wie Typhus und Ruhr.
  • Geschichtsbücher zeigen nicht die Realität. Die Verfasser von Geschichtsbüchern und deren Auftraggeber bestimmen, wo das Licht hinfällt. Ausserdem werden Themengebiete, mit einfacherer und grösserer Datenmenge bevorzugt. Über Tote auf dem Schlachtfeld wurde genau Buch geführt. Die Armen starben unbemerkt. Die übermittelte Geschichte sollte mit kritischem Blick betrachtet werden.
  • Ein Übel kommt selten allein. In der Neuzeit lebten und starben die Menschen mit einem ganzen Orchester von Infektionskrankheiten. Viele Epidemien und Pandemien haben sich überlagert.
  • Seuchen als Inkubator. Ohne die Erfahrung der ansteckenden Krankheiten wären wir heute nicht, wo wir sind. Sie beeinflussten politische Entscheide (Bsp. Hygienemassnahmen), Wissenschaft (Bsp. Forschung zur Bakteriologie) und ganze Glaubensrichtungen (Bsp. Reformation).

Diese Seuchen sind Bestandteil des Buches

  • Pest: der schwarze Tod (Kapitel 2)
    periodisch wiederkehrende Seuchenzüge ab Mitte 14. Jh. bis in die späten 1660er-Jahre
  • Aussatz (Lepra): Krankheit der lebenden Toten (Kapitel 3)
    2. Hälfte des 5. Jh. bis Ende 14. Jh. / danach bis ins 18. Jh. vereinzelte Fälle
  • Typhus & Ruhr: Bauchfluss (Kapitel 4)
    mehrere Epidemien in der Neuzeit / Während Napoleons Russlandfeldzug (1812) starben über 90% der Soldaten, davon vermutlich ein grosser Teil an Flecktyphus.
  • Cholera: der Blaue Tod (Kapitel 5)
    19. Jahrhundert, v.a. 1830-38, 1847-55 und 1864-67
  • Pocken: vernarbte Geschichte (Kapitel 6)
    16. - 18. Jahrhundert / Zwischen 1580 und 1799 sind mehr als 10% aller Todesfälle in Genf auf die Pocken zurückzuführen.
  • Tuberkulose: die Weisse Pest (Kapitel 7)
    seit dem Altertum
  • Geschlechtskrankheiten: Gonnorrhö, Syphilis und Aids (Kapitel 8)
    Syphilis: seit Ende 15. Jh. / seit 2006 Meldepflicht in der Schweiz (jährlich über 600 Erkrankte)
    Aids: 1982 gab es die ersten Aids-Fälle in der Schweiz 
  • Influenza: Spanische Grippe & Co. (Kapitel 9)
    in den letzten 500 Jahren mindestens 30 Grippepandemien / Die sogenannte Spanische Grippe von 1918 war besonders heftig: Weltweit starben zwischen 20 und 50 Mio. Menschen (mehr als im Ersten Weltkrieg)
  • Malaria und Diphtherie: Fragmente (Kapitel 10)

An diese Menschen habe ich beim Lesen öfter gedacht

An alle Menschen, die Geschichte studieren oder studiert haben. Und jene, die sich bis jetzt überhaupt nicht mit Geschichte auseinander gesetzt haben. Macht das! Man lernt so viel.

Aber auch an die «Jammeris», die nicht erkennen, in welcher fortschrittlichen Zeit wir leben und wie gut es dem meisten von uns eigentlich geht.

Denkansätze

Diese Passagen haben bei mir bleibenden Eindruck hinterlassen. Klick auf die Kacheln, um die Ansicht zu vergrössern.


Das würde ich dem Autor dieses Buches gerne sagen

Lieber Daniel Furrer

Danke für die umfassende Recherche und die wiederholten Blicke auf Zeitzeugnisse. Ich glaube, dieses Buch schärft das Bewusstsein für blinde Flecken in der (Schweizer) Geschichtsschreibung. Viele Dinge, die früher den Alltag prägten, sind über die Zeit vergessen gegangen. Es ist ein grosser Wissensschatz, wenn das «einfache Leben» alter Zeiten plötzlich erahnt werden kann.

Herzlich, Barbara

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