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Das Zeitalter der Resilienz – Leben neu denken auf einer wilden Erde (Jeremy Rifkin, 2022)




Darum geht es in diesem Buch

Die Inbesitznahme der Erde und das Streben nach industrieller Effizienz hat uns an den Rand des ökologischen Untergangs gebracht. Die Geschichte der Menschheit und die Zukunft dieser Welt müssen neu überdacht werden. Nur durch einen radikalen Wandel unseres Selbstverständnisses können wir uns noch retten.

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass wir uns als Teil eines Ökosystems verstehen müssen. Wir sollten uns anpassen und widerstandsfähig werden, anstatt die Natur auszubeuten. Rifkin beschreibt den globalen Weg von einer Zeit des Fortschritts zu einer Zeit der Resilienz, der politische, wirtschaftliche und kulturelle Aspekte umfasst. 

Rifkins Buch ist eine Reise durch die Zeit. Sie führt uns durch die Geschichte der Menschheit und zeigt uns, wo wir falsch abgebogen sind. Er zeigt auf, wie wir unser Selbstverständnis korrigieren müssen, damit wir uns wieder in die Gemeinschaft auf unserem Planeten eingliedern können. 

Ein gut recherchiertes, überraschendes Buch, das die Welt verändern will und vielleicht auch kann. Dringende Leseempfehlung an alle!

Beeindruckende Zahlen

  • Während des Industriezeitalters haben wir einen Drittel der Böden unseres Planeten durch Erosion verloren. Das übrig gebliebene Erdreich reicht noch für ca. 60 Jahre zur Ernährung der Weltbevölkerung. 
  • Die Bodenbildung ist ein langsamer Prozess; die Entstehung von nur fünf Zentimetern Erdreich dauert ein Jahrtausend oder länger. (S.91)
  • 26 Prozent der eisfreien Erdoberfläche sind Weideland. Die exzessive Viehhaltung schadet dem Erdreich. Je fleischlastiger unsere Ernährung ist, desto grösser ist dieses Problem. (S.91)
  • 95 Prozent der Erdoberfläche wurden von Menschen verändert. (Ergebnis einer Untersuchung im Auftrag des Weltwirtschaftsforums, 2020)
  • In den nächsten 80 Jahren könnte fast die Hälfte aller heute lebenden Arten dem Klimawandel zum Opfer fallen.
  • Schon im Jahr 2100 könnten alle Weltmeere unter Sauerstoffmangel leiden, weil es zu wenig Phytoplankton gibt.
  • Bis 2070 könnten 19 Prozent der Erdoberfläche so heiss sein, dass sie für Menschen unbewohnbar sind.
  • Im Jahr 2000 haben sechs Milliarden Menschen, 23.8 Prozent der Nettoprimärproduktion (Definition siehe unten) für sich beansprucht. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass die Zahl bis 2050 auf über 44 Prozent steigen könnte.
  • Mit jedem Grad Erwärmung der Atmosphäre durch Treibhausgase kann die Luft etwa 7 Prozent mehr Feuchtigkeit aufnehmen. Das führt zu konzentrierterer Wolkenbildung und extremeren Wetterereignissen.
  • Die Textilindustrie ist für 10 Prozent der Treibhausemissionen verantwortlich, – mehr als der internationale Luft- und Schiffsverkehr zusammen. (S.68)
  • Mit den abgetragenen Kleidungsstücken und den Abfällen bei der Herstellung ist die Modebranche für 22 Prozent des weltweit anfallenden Mülls verantwortlich. Weniger als 15 Prozent der Bekleidungsabfälle werden der Wiederverwertung zugeführt. (S.69)

Deshalb habe ich dieses Buch gelesen

Die Themen Nachhaltigkeit, Klimawandel und Ökologie interessieren nicht nur mich persönlich, sondern auch viele meiner Kundinnen und Kunden. Sie beschäftigen sich mit der Zukunft und wollen ihren Beitrag leisten. Sie entwickeln sich in Richtung Kreislaufwirtschaft, erarbeiten Visionen, die eine nachhaltige Unternehmensentwicklung ermöglichen, interessieren sich für neue Formen der (Zusammen-)Arbeit ... Es tut sich etwas! Und ich bin mittendrin. Genau da, wo es mich braucht.

Und wie immer will ich es verstehen. Ich will wissen, wie die Menschheit zu ihrem derzeitigen ökologischen Standpunkt gelangt ist. Und ich wünsche mir Antworten auf drängende Umwelt- und Klimafragen.

Jeremy Rifkin war ein Glücksgriff. Sein Buch bietet Einblicke in die Geschichte der Menschheit und deren Interaktion mit der Erde. Und es zeigt auf, was wir ändern müssen, um unser Selbstbild zu korrigieren. Weg vom Beherrscher der Natur hin zu einem Menschen, der sich als Teil des Ökosystems begreift.

Was ich aus diesem Buch mitnehme

  • Der Mensch nimmt zu viel. Der Homo sapiens macht weniger als 0.5 Prozent der gesamten Biomasse der Erde aus. Dennoch verbrauchen wir einen Viertel der Nettoprimärproduktion aus der Photosynthese. In den nächsten 30 Jahren könnte der Anteil nach derzeitigem Kenntnisstand auf bis zu 44 Prozent steigen.
  • Wir brauchen ein neues Verständnis von Wissenschaft. Wir müssen aufhören, der Natur ihre Geheimnisse zu entreissen und die Erde als Rohstoff und Ware für die ausschliessliche Nutzung durch den Menschen zu betrachten (traditionelles Wissenschaftsverständnis). Das neue Paradigma muss auf dem Denken in komplexen adaptiven Systemen (KAS) basieren. Wir müssen die Natur als Lebensquelle und die Erde als komplexes, sich selbst organisierendes System begreifen. Wir brauchen eine Wissenschaft, die sich auf Prognosen und aufmerksame Anpassung verlegt und keine, die einen konkreten Kurs erzwingen will.
  • Im Kapitalismus selbst gibt es einen grundlegenden Konflikt – den unvermeidlichen Kompromiss zwischen Effizienz und Resilienz.
  • Jemand bezahlt für den Erfolg der Globalisierung. Sie beruht darauf, die Produktion von alltäglichen Gütern und Dienstleistungen in diejenigen Weltregionen zu verlagern, in denen sich durch niedrige Lohnkosten und nicht vorhandene Umweltschutzgesetze effiziente Skaleneffekte erzielen lassen.
  • Mit steigender Effizienz nimmt die Resilienz ab. Biologische Systeme (Organismen, Ökosysteme) zeichnen sich nicht durch Effizienz aus, sondern durch Anpassungsfähigkeit. Ihre Leistung wird nicht anhand der Produktivität gemessen, sondern anhand ihrer Erneuerbarkeit.
  • Der Wert eines Produkts trägt im Moment des Kaufs nicht im Entferntesten den Kosten Rechnung, die bei jedem Schritt der Wertschöpfungskette durch den Verbrauch der Energie- und Rohstoffreserven der Erde sowie den entropischen Abfall entstehen.
  • Boden ist wertvoll! Ohne Erdreich keine Vegetation und ohne Vegetation keine Photosynthese.
  • «Der Schlüssel zum wirtschaftlichen Wohlstand ist die systematische Herstellung von Unzufriedenheit.» (Charles Kettering, General Motors): Mit immer neuen Modellen und Versionen werden Verkäufe angekurbelt. Wollen wir DIESEN Wohlstand?
  • Wir können in die Gemeinschaft des Planeten zurückkehren. Viele unserer Ideen über den Menschen als biologisches Wesen waren völlig falsch. Sie haben uns zu diesem verzweifelten Moment in unserer Geschichte geführt. Wenn wir aber bereit sind, zu erkennen, was wir in der strengsten physiologischen Hinsicht während unserer Existenz auf der Erde wirklich sind, dann könnte uns das auf einen Weg zurück zu einer lebendigen und dynamischen Erde führen. 
  • Wir sind Ökosysteme. Nur 43 Prozent aller Zellen in unserm Köper sind menschlich. Die restlichen 57 Prozent gehören Mikroorganismen.
  • Die Idee der Peerocracy gefällt mir sehr. Rifkin glaubt, dass sich die Demokratie zu einer Peerokratie weiterentwickeln wird. In einer Peerocracy wird Wert auf die gemeinsame Schaffung, Nutzung und Verwaltung von Ressourcen gelegt. Individuen und Gemeinschaften interagieren auf einer gleichberechtigten Ebene und teilen Wissen, Ideen und Ressourcen. Dies kann in vielen Bereichen wie Wirtschaft, Politik, Technologie und Bildung zur Anwendung kommen. Jeremy Rifkin sieht in der Peerocracy ein Modell, das den Weg in eine neue Ära der Zusammenarbeit und Nachhaltigkeit ebnen könnte, in der die Menschen mehr Kontrolle und Einfluss auf ihre Umgebung haben. Es ist eng mit seinen Ideen über die «Dritte Industrielle Revolution» und die «Kollaborative Wirtschaft» verbunden, in der neue Technologien wie das Internet der Dinge eine dezentralisierte, vernetzte und kooperative Gesellschaft ermöglichen. 

Menschen, an die ich beim Lesen dachte

  • An viele meiner Kundinnen und Kunden. Den meisten habe ich das Buch schon persönlich empfohlen.
  • An Rahel Tschopp, die Naturliebhaberin und Schulwandlerin, musste ich vor allem bei diesem Satz denken: «Die Schule wurde der Lehrer, Führer, Vermittler und Vollstrecker der Effizienzagenda.» (S.36)
  • Beim Kapitel über die Textilindustrie (S.69) fühlte ich mich mit Rebekka Sommerhalder verbunden, die in ihrer Luzerner Kleiderboutique glore hochwertige modische Produkte anbietet, die im Einklang mit Mensch und Natur hergestellt werden.
  • Immer wieder kam mir beim Lesen Christine Abbühl in den Sinn, die Unternehmen zu mehr Nachhaltigkeit begleitet.
  • Beim Kapitel «Die Neuverkabelung des menschlichen Gehirns» (S.112) sah ich öfters Barbara Studer vor meinem inneren Auge. Sie wird angetrieben von den Fragen, wie wir in unserer schnelllebigen und informationsüberladenen Zeit mental fit und gesund bleiben und wie mit präventiven Ansätzen viel Leid vermieden werden kann.
  • An Dorothee Brumann vom WirkWerk, die Firmen in Sachen wertorientierter Führung berät und – genau wie Rifkin – davon überzeugt ist, dass Anpassungsfähigkeit einer der bedeutendsten Unternehmenswerte zukunftsfähiger Unternehmen ist.
  • An Kirsten Timmer und Simona Zäh, die den Wert von Bindung zwischen Erwachsenen und Kindern immer wieder hochhalten.  Rifkin hätte grosse Freude an euren Konzepten!

Begriffe, die ich mir merken will

Biophilie (S.16 / S.278f.)

 

Empathie über unsere Spezies hinaus auf unsere Mitlebewesen; Der biophile Instinkt ist bei Kindern unter sechs Jahren am grössten, später wird er von der traditionellen Schule ausgetrieben.

Bioregionale Ordnung (S.247)

 

Teil der Ökoregion (siehe unten), der von der Gemeinschaft verwaltet wird und ein Gefühl der Zugehörigkeit, Identität und Bindung bietet, ob menschlicher, psychischer, sozialer, wirtschaftlicher oder politischer Natur; oft über politische Grenzen hinweg; grenzüberschreitende ökologische Identität

Entropie

 

= Tatsache, dass Dinge sich natürlicherweise von einem geordneteren hin zu einem chaotischeren Zustand bewegen

Entropiezeche

versteckte Kosten herkömmlicher Industrien und Energiesysteme

Externe Effekte (S.47)

 

 

= unkompensierte Folgen von Marktentscheidungen, die an anderer Stelle grössere Erträge (postitive externe Effekte) oder Kosten (negative externe Effekte) verursachen, aber nicht in die Kosten-Nutzen-Analyse der Entscheider*innen einbezogen werden

Freiheit (S.257)

 

 

 

bisheriges Verständnis: Freiheit von Bindungen, Freiheit von Zwang, Freiheit der Autarkie und Eigenständigkeit (= negative Freiheit)

neues Verständnis: Freiheit als Zugang und Teilhabe; politisches Fundament der Peerocracy (siehe unten)

Hydrosphäre (S.93)

gesamtes flüssiges Wasser der Erde

Kreislaufwirtschaft (S.29f)

relativ geschlossener Kreislauf, der möglichst alles wiederverwendet und kaum Abfälle produziert, um die Umweltkosten für uns und künftige Generationen zu minimieren

Lean Production (S.135)

«schlanke Produktion»; mit weniger Ressourcen und menschlichen Arbeitskräften mehr produzieren

Lithosphäre (S.90)

 

 

der feste Teil der Erde, bestehend aus dem oberen Erdmantel und der Erdkruste / lebende, atmende und sich konstant verändernde Grenzschicht, in der Gestein, Erdreich, Wasser, Luft und Lebewesen interagieren

Nettoprimärproduktion (S.56)

 

= Gesamtmenge des organischen Materials, das Lebewesen mittels Sonnenkraft herstellen / Gesamtmenge des von der Vegetation aufgenommenen Kohlenstoffs minus des durch die Atmung wieder verlorenen Kohlenstoffs

Ökoregionen (S.246)

unterscheidbare Untereinheiten der biogeografischen Grossräume der Erde

Peerocracy (S.257f.)

 

 

 

Konzept, das die traditionellen hierarchischen Strukturn in Wirtschaft und Gesellschaft in Frage stellt und stattdessen eine stärkere Betonung auf gleichberechtigte, horizontale Beziehungen legt; eine Art Organisationsstruktur, die auf Zusammenarbeit, Gemeinschaft und Vernetzung basiert, anstatt auf Wettbewerb und zentralisierte Kontrolle

Prinzip des abnehmenden Grenzertrags (S.51)

 

 

Der Konsum der ersten Einheit einer bestimmten Ware oder Dienstleistung bringt grösseren Nutzen oder Genuss als der Konsum der zweiten. Jede weitere Einheit bedeutet noch weniger Nutzen und Genuss.

Resilienz (S.11)

Wiederstandsfähigkeit

Sätze der Thermodynamik (s.45)

 

 

 

1. Satz (Energieerhaltungssatz): Die Energie im Universum ist konstant und hat sich seit dem Urknall nicht verändert; d.h. Energie kann weder entstehen noch vernichtet werden. Energie geht in andere Formen über; aber nur in eine Richtung, von verfügbar zu nicht verfügbar.

2. Satz: Energie fliesst immer von warm zu kalt, von Konzentration zu Streuung, von Ordnung zu Unordnung. Dieser Prozesse ist nicht umkehrbar.

Singularität (S.145)

der Moment, in dem die Technik intelligenter und effizienter wird als der Mensch

Taylorismus (S.34)

 

 

Betriebswirtschaftliches System von Frederick W. Tylor basierend auf dem Effizienzgedanke; >>> Trennung von Führung/Planung und Ausführung + Aufspaltung der Tätigkeiten in einfachste Einheiten; Massstab der Effizienz = Zeit

An den Autor dieses Buches

Lieber Jeremy,

du hast acht Jahre lang an diesem Buch gearbeitet. Diese Hingabe habe ich ganz deutlich gespürt, als ich das Resultat unter toten Olivenbäumen gelesen habe. Schwarz und blattlos ragten die hölzernen Gerippe in den blauen Himmel Süditaliens. Sie sind Zeitzeugen der Globalisierung. Opfer des Feuerbakteriums, das der Mensch in Frachtschiffen und Flugzeugen hier her gebracht hat. Vor dieser Kulisse – einem Friedhof der Effizienz – haben sich deine Worte bei mir tief eingebrannt. Ich nehme dein Buch mit. Es hat mich berührt – und meine Sicht auf die Welt verändert. Danke dafür!

Herzlich, Barbara


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