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Abgelenkt – Wie uns die Konzentration abhandenkam und wie wir sie zurückgewinnen (Johann Hari, 2022)


Darum geht es in diesem Buch

 «Ich habe versucht zu leben, aber ich wurde abgelenkt.» Das könnte nach Johann Hari das Motto für unsere Zeit sein. Ein Erwachsener schafft es im Büro durchschnittlich drei Minuten an einer Aufgabe dran zu bleiben. Die Konzentrationsfähigkeit in unserer Gesellschaft nimmt rapide ab. Entwickeln wir gerade eine «pathogene Aufmerksamkeitskultur»? Ein Umfeld, in dem es für uns alle extrem schwierig ist, uns dauerhaft und tief zu konzentrieren, und in dem wir immer gegen den Strom schwimmen müssen, um dies zu erreichen?

Johann Hari hat über 250 Expert*innen befragt, um herauszufinden, wie wir unsere Konzentration und Aufmerksamkeit wieder zurückgewinnen können. Seine Recherche liefert eindeutige Beweise dafür, dass unsere nachlassende Konzentrationsfähigkeit nicht in erster Linie ein persönliches Versagen ist. Das Problem ist systemischer Natur. Hari identifiziert zwölf tiefgreifende Kräfte (siehe unten), die unsere Aufmerksamkeitskrise verursachen. 

In Haris Buch lernst du konkrete Schritte, die du unternehmen kannst, um das Problem für dich selbst zu verringern. Übernimm persönliche Verantwortung dafür! Auch wenn dich diese Veränderungen nur bedingt weiterbringen werden. Denn sie lösen nur einen Teil des Problems. Weder ich noch du werden dieser Krise entkommen. Denn systemische Probleme erfordern systemische Lösungen. Wir müssen als Kollektiv Verantwortung übernehmen. Wir müssen die Kräfte verstehen – und dann gemeinsam verhindern, dass sie weiterhin ihre Wirkung auf uns ausüben.

Diese 12 tiefgreifenden Kräfte verursachen die Aufmerksamkeitskrise Mit diesen Schritten können wir einen Teil unserer Aufmerksamkeit zurückgewinnen
Ursache 1 – Die Zunahme der Geschwindigkeit, der Druck des Umschaltens und Filterns

Langsamer werden.

 

Ursache 2 – Die Beeinträchtigung unseres Flows Immer nur eine Sache auf einmal tun.
Ursache 3 – Die zunehmende körperliche und geistige Erschöpfung Mehr schlafen.

Ursache 4 – Der Niedergang des nachhaltigen Lebens

 

Mehr Bücher lesen (v.a. Belletristik; sie fördert Empathie). Weniger Social Media konsumieren.

Ursache 5 – Die Störung des Mind-Wanderings (Definition s.u.) Gedanken bewusst wandern lassen.

Ursache 6 – Das Aufkommen von Technologien, die uns verfolgen und manipulieren können. Unsere Ablenkung ist der Treibstoff von Tech-Unternehmen. (Überwachungskapitalismus, Definition s.u.)

 

 

 

sich des eigenen Negativitätsvorurteils (Definition s.u.) bewusst werden

sich bewusst werden, dass nicht wir selbst oder das Smartphone das Problem sind, sondern dass Apps und Websites gezielt als «Aufmerksamkeitsfresser» entwickelt werden 

Ursache 7 – Das Aufkommen des grausamen Optimismus (Definition s.u.)

 

mit authentischem Optimismus (Definition s.u.) dagegen halten.
Ursache 8 – Die Zunahme von Stress und wie dies Wachsamkeit auslöst auf die Tendenz zur Hypervirgilanz (Definition s.u.) reagieren.

Ursache 9 – Unsere schlechter werdende Ernährung

 

 

Energiespitzen und -einbrüche vermeiden. Weniger industriell verarbeitete Produkte essen. Auf chemische Zusätze verzichten.
Ursache 10 – Die zunehmende Umweltverschmutzung als Kollektiv Verantwortung übernehmen
Ursache 11 – Das Aufkommen von ADHS und wie wir darauf reagieren

Ursachen statt Symptome bekämpfen

 

Ursache 12 – Die physische und psychische Gefangenschaft unserer Kinder

 

 

die Kinder ihren Bewegungsdrang ausleben lassen

die Kinder spielen lassen; im Spiel erlernen sie ihre wichtigsten Fähigkeiten fürs Leben

die intrinsische Motivation der Kinder unterstützen

Deshalb habe ich dieses Buch gelesen

Ich bin beruflich viel online. Ich recherchiere. Ich blogge. Und ich nutze Social Media. Ich schätze mich als ziemlich medienkompetent ein. Dennoch lande ich auf den sozialen Plattformen hin und wieder bei süsses Tierbabys, Click-Bait-Videos, die ein UNGLAUBLICHES Ende versprechen und Breaking News zu Prominenten, die mich eigentlich überhaupt nicht interessieren. Genau wegen dieser Selbstbeobachtung hat mich das Buch sofort angesprochen. Warum haben diese belanglosen Videos eine solche Anziehungskraft? Und wie wehre ich mich dagegen? Wie schütze ich meine Kinder vor diesem Sog?

Was ich aus diesem Buch mitnehme

  • Die Ablenkung um uns herum, ist nicht nur lästig, sondern tödlich. Etwa jeder fünfte Autounfall ist heute auf eine:n abgelenkte:n Fahrer:in zurückzuführen. LEG. DEIN. HANDY. WEG!
  • Ich vermeide es, andere (z.B. meine Kinder) im Flow zu unterbrechen. Denn: Wenn wir unterbrochen werden, brauchen wir im Durchschnitt 23 Minuten (!) bis wir uns wieder genauso fokussiert wie zuvor auf eine Sache konzentrieren können.
  • Ich platziere mein Smartphone ausser Reichweite. Durchschnittlich berühren wir unsere Handys in 24 Stunden 2'617 Mal. Das ist mir deutlich zu oft. 
  • Wenn man seine Ablenkungen beiseite legt, beginnt man zu erkennen, wovon man sich ablenkt. Ich achte besser darauf, was ich in diesem Moment tatsächlich brauche.
  • Die Beschleunigung ist real. Einige Beispiele: Die Menschen sprechen heute wesentlich schneller als in den 1950er Jahren. Innerhalb von nur 20 Jahren hat die durchschnittliche Gehgeschwindigkeit von Städter*innen um 10 % gesteigert.
  • Ich verschwende weniger Gehirnzeit. Ich achte darauf, dass ich seltener Wechselkosten (Definition s.u.) bezahlen muss. Denn wenn meine Bildschirmzeit am Handy vier Stunden beträgt, habe ich in Wahrheit viel mehr als diese vier Stunden verloren. Ich habe zusätzliche Zeit gebraucht, um mich wieder zu konzentrieren. 
  • Ich reduziere meine Erreichbarkeit. Damit vermeide ich, dass ich von E-Mails und Anrufen unterbrochen werde, was mich in diesem Moment bis zu 10 IQ-Punkte kosten kann. Kurzfristig ist das ein doppelt so starker Rückgang wie nach dem Rauchen von Cannabis.
  • Ich konzentriere mich auf eine Aufgabe. Denn wenn man häufig zwischen verschiedenen Aufgaben wechselt, ist man  nachweislich langsamer (s.u. Wechselkosten-Effekt), macht mehr Fehler (s.u. Pfusch-Effekt), ist weniger kreativ (s.u. Kreativitätsverlust-Effekt) und erinnert sich schlechter (s.u. Gedächtnisverlust-Effekt), an das, was man getan hat. 
  • Ich respektiere die Grenzen meines Geistes. Ich bin keine Maschine. Ich kann nicht nach der Logik der Maschinen leben.
  • Ich will noch mehr im Flow arbeiten. Dazu verfolge ich diesen Plan: Ich tue Dinge, die ein klares Ziel haben. Ich tue Dinge, die für mich von Bedeutung sind. Und ich tue Dinge, die an der Grenze meiner Fähigkeiten liegen, diese aber nicht überschreiten. 
  • Ich achte auf genügend Schlaf. 
  • Ich lasse meine Gedanken bewusst wandern. (s.u. Definition Mind-Wandering)
  • Es ist nicht unsere Schuld, dass wir uns nicht konzentrieren können. Es ist die Absicht von Tech-Unternehmen. Unsere Ablenkung ist ihr Treibstoff.
  • Das Smartphone an sich ist nicht das Problem. Es ist die Art und Weise, wie die Apps auf dem Smartphone und die Websites auf unseren Laptops gestaltet sind, um gezielt unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
  • Wir sind nicht nur als Individuen aufmerksam, sondern auch gemeinsam, als Gesellschaft. Aufgrund des Negativitätsvorurteils (s.u.) verbreiten sich falsche Behauptungen über die Sozialen Medien viel schneller als die Wahrheit. Es kommt zu einer kollektiven Verzerrung. Wir erleben gerade ein «kollektives Downgrading der Menschen und ein Upgrading der Maschinen». Wir werden weniger rational, weniger intelligent, weniger konzentriert.
  • Die Zersplitterung der Aufmerksamkeit bereitet nicht nur uns als Individuen Probleme, sondern stürzt unsere ganze Gesellschaft in die Krise. Bei nachlassender Aufmerksamkeit lässt die Problemlösungskompetenz nach. Für die Lösung grosser Probleme aber brauchen wir die über Jahre anhaltende Aufmerksamkeit vieler Menschen.
  • Wir haben eine dysfunktionale Beziehung zum Internet entwickelt. Viele von uns leiden unter Hypervigilanz (Definition s.u.). Wir konzentrieren uns auf mögliche Gefahren, anstatt auf das Jetzt. Aber: Um normal aufmerksam zu sein, muss man sich sicher fühlen.
  • Die Aufmerksamkeitskrise hat einen strukturellen Charakter. Wir leben in einer extrem individualistischen Kultur in der wir ständig dazu gedrängt werden, unsere Probleme als individuelle Versäumnisse zu betrachten und nach individuellen Lösungen.   Du bist unfähig, dich zu konzentrieren? Übergewichtig? Arm? Depressiv? In dieser Kultur wird dir beigebracht zu denken: Das ist meine Schuld.
  • Soziale Medien könnten durchaus lebensbejahend und menschenfreundlich gestaltet werden. 
    • Man könnte zum Beispiel den antidemokratischen und menschenfeindlichen Überwachungskapitalismus verbieten und eine alternative Form des Kapitalismus wählen (z.B. Abonnement statt Gratis-SocialMedia).
    • Die Sozialen Medien können aus dem kapitalistischen Teil der Wirtschaft entfernt werden (z.B. indem sie von der Regierung gekauft in in öfffentliches Eigentum überführt werden).
    • Die Sozialen Plattformen könnten umgestaltet werden:
      • Benachrichtigungen bündeln. Nur noch einmal am Tag aktualisieren.
      • Das Invinite Scrolling ausschalten, damit der User sich bewusst dafür entscheiden muss, weiter zu scrollen.
      • Inhalte abschalten, die Menschen nachweislich politisch am stärksten polarisieren und so unsere Fähigkeit zur kollektiven Aufmerksamkeit beeinträchtigen.
      • Das Treffen von Menschen im analogen Leben fördern (z.B. mit einer Schaltfläche «Freunde in der Nähe»). Menschen, die ein Projekt starten möchten, zusammenbringen.
      • Bei der Einrichtung des Profils abfragen, wie viel Zeit die Person pro Tag oder Woche auf der Website verbringen möchte. Nach Erreichen dieses Zeitlimits, die Geschwindigkeit der Website drosseln.
      • In regelmässigen Abständen nachfragen, was der User in seinem Leben ändern möchte.

Menschen, an die ich beim Lesen dachte

  • an meine Kinder – immer!
  • an Top 100 Trainer und Speaker Roger L. Basler, der immer wieder kluge Dinge zum Thema Aufmerksamkeitsökonomie postet
  • an die Neurowissenschaftlerin Barbara Studer, die mit ihrem Hirncoach-Posts immer wieder Inputs für das Steigern von Aufmerksamkeit und Konzentration gibt
  • an die Gesellschaftsgestalter:innen Niki Wiese und Florian Wieser, mit denen ich vor einiger Zeit eine spannende Diskussion über das übermässige Vorkommen negativer Berichterstattung in den Medien geführt habe
  • an die Change- und Transformationsexpertin Dorothee Brumann (vor allem bei diesen Sätzen auf Seite 208: «Die Art und Weise, wie wir arbeiten, scheint festzustehen und unveränderlich zu sein – bis sie sich ändert. Und dann stellen wir fest, dass sie eigentlich gar nicht so hätte sein müssen.»)
  • Bildungswandlerin Rahel Tschopp

Begriffe, die ich mir merken will

authentischer Optimismus

 

 

Hindernisse, die einem auf dem Weg zu einem Ziel im Weg stehen, ehrlich anerkennen und einen Plan aufstellen, um diese Hindernisse gemeinsam mit anderen Menschen Schritt für Schritt abzubauen // Alternative zum grausamen Optimismus (s.u.)

Gedächtnisschwund-Effekt

 

 

zeigt sich bei Multitasking // Menschen, die mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen, erinnern sich schlechter daran, als Menschen, die eine einzelne Aufgabe ausführen. Ihr Gehirn hat weniger geistigen Raum und Energie, um Erfahrungen in Erinnerungen umzuwandeln.

grausamer Optimismus

 

 

 

 

man greift ein wirklich grosses Problem mit tiefgreifenden Ursachen in unserer Kultur auf (z.B. Fettleibigkeit, Depression oder Sucht) und bietet den Menschen in optimistischer Sprache ein einfache individuelle Lösung an // Der grausame Optimist geht von Ausnahmefällen aus, die meist unter aussergewöhnlichen Umständen erreicht wurden, und tut so, als könnten sie zur Regel werden. Er verurteilt Menschen zum Scheitern. // nach Ronald Purser

humane Technologie

arbeitet nicht gegen uns, fördert unsere Konzentrationsfähigkeit // vs. invasive Technologie (s.u.)

Hypervigilanz

 

Die Aufmerksamkeit richtet sich auf Hinweise auf eine mögliche Gefahr. Man kann sich nicht darauf konzentrieren, was gerade passiert.

invasive Technologie

findet heraus, wie wir ticken und nehmen unsere Aufmerksamkeit in Beschlag // vs. humane Technologie (s.o.)

Infinite Scrolling

 

 

Erfindung von Aza Raskin // dank dem unendlichen Scrollen verbringen User 50% mehr Zeit auf Websites. Jeden Tag werden dank Raskins Erfindung 200'000 Menschenleben mehr als zuvor mit Scrollen auf einem Bildschirm vergeudet.

Kreativitätsverlust-Effekt

 

 

zeigt sich bei Multitasking // Neue Gedanken und Innovationen entstehen, wenn unser Gehirn aus dem, was wir gesehen, gehört und gelernt haben, neue Verbindungen herstellen. Der Pfusch- und der Wechselkosten-Effekt (s.u.) führen dazu dass wir weniger Zeit haben, durch assoziatives Verknüpfungen, originelle und kreative Ideen zu haben.

lokaler Schlaf

Zustand, in dem ein Teil des Gehirns wach ist und ein Teil des Gehirns schläft; man glaubt, wach und geistig leistungsfähig zu sein, ist es aber nicht.

Mind-Wandering

 

 

 

 

 

Gedankenwanderung, das Umherschweifenlassen unserer Gedanken // Drei positive Effekte: 1) Je mehr man seinen Gedanken freien Lauf lässt, desto besser ist man in der Lage, persönliche Ziele zu entwickeln, kreativ zu sein und geduldige, langfristige Entscheidungen zu treffen. 2) Das Gehirn fängt an, neue Assoziationen zwischen den Dingen herzustellen, was oft zu einer Lösung für unsere Probleme führt. 3) Der Geist unternimmt eine «mentale Zeitreise», bei der er die Vergangenheit durchstreift und versucht, die Zukunft vorherzusagen.

Negativitätsvorurteil

 

 

Eigenart des menschlichen Verhaltens: wir starren normalerweise länger auf etwas Negatives und Abscheuliches als auf etwas Positives und Beruhigendes / Gefahr: viele Menschen verbringen viel Zeit damit, sich zu ärgern; Hass wird zur Gewohnheit

Pfusch-Effekt

 

 

zeigt sich bei Multitasking // Wenn man zwischen Aufgaben hin- und herwechselt, schleichen sich Fehler ein. Das Gehirn muss ein wenig zurückgehen, um dort weiterzumachen, wo es aufgehört hat. Das schafft es nicht perfekt.

Positive Psychologie

 

fokussiert in erster Linie auf die Dinge, die das Leben lebenswert machen und findet Wege, diese zu fördern

Überwachungskapitalismus

 

 

System, das auf der Überwachung von Usern basiert und anhand von Daten und Nutzungsverhalten, genaue Modelle («kleine Voodoo-Puppen») von ihnen erstellt, damit Werbung gezielter geschaltet werden kann 

Wechselkosten-Effekt

switch-cost

zeigt sich bei Multitasking // Das Gehirn muss sich neu konfigurieren, wenn es von einer Aufgabe zur nächsten wechselt. Die Leistung lässt nach. Man ist langsamer. 

An den Autor dieses Buches

Lieber Johann

Danke für deine umfassende Recherche und die Lösungsansätze, die sich daraus ergeben haben. Und dafür, dass du mir gezeigt hast, dass nicht ich MEINE sondern wir UNSERE Aufmerksamkeitskrise bewältigen müssen. Packen wir es an! Gemeinsam! Starten wir die Aufmerksamkeits-Rebellion.

Liebe Grüsse, Barbara


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